Hätte man mir vor zwei oder drei Wochen gesagt, die Marktplätze dieser Republik würden überlaufen von Menschen aus der breiten Mitte der Gesellschaft, die sich gegen Rechtsextremismus wenden, ich hätte dies in den Bereich der Fabel verwiesen.

Nun aber ist es so. Und das ist gut so. Denn es rückt alles, was in den vergangenen Monaten auf den Straßen auch und besonders in Sachsen sichtbar war, in eine realere Dimension. Denn das, was jetzt begonnen hat macht sichtbar, dass in dieser sächsischen Gesellschaft auch andere Stimmen stark sind als jene, die bisher die öffentliche Wahrnehmung bestimmten. Nicht laut. Aber dafür viele. Über viele politische Farben hinweg. Alt, jung, Familien, Unternehmer. Die Mitte, die so lange geschwiegen hat, ist auf die Straße gegangen. Weil es Zeit war. Weil es wichtig ist. Weil viele nun verstanden haben, dass diese Demokratie Hilfe und vor allem Schutz braucht. Dass dies nicht allein Sache der Politik ist.

Nicht mehr und nicht weniger ist passiert.

Und doch ist es genau jenes Zeichen, das es brauchte. Auch und letztendlich für die Politik. Nicht “nur” beim Kampf gegen Extremismus. Auch im täglichen Zusammen braucht es dieses Signal. Nicht, um dies auch ganz klar zu sagen, diejenigen auszugrenzen, die bisher die Straßen und digitalen Foren mit Protest und Wut füllen. Vielmehr eigentlich um eine Einladung auszusprechen. Eine Möglichkeit des Zusammen in den Grundwerten unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Es muss kein Gegeneinander sein. ES ist vielmehr die Chance, ein Miteinander zu finden. Wenn man dies will. Auf beiden Seiten.

Politik braucht die Rückkopplung der Menschen. Und diese fehlt schon lange. Zu lange. Und war sie da, zeigte sie zumeist kleine, gut organisierte und laute Gruppen. Oft und in Extremen. Oder auch in klaren Interessengruppen, die ihre Ziele verfolgen. Selten aber die Breite. DIE Gesellschaft in all ihrer Breite und Repräsentanz. Und dies ist wichtig. Sieht und hört man die breite Gesellschaft nicht mehr, bewegt man sich in die Bestimmung von Minderheiten. Allein schon, weil diese eben laut sind. Das macht es schwer. Und in sofern ist es wichtig. Und viel mehr auch, dass es nun nicht dabei bleibt.

Wir brauchen jetzt ein MEHR. In den Kommunalparlamenten, in den vielen Gesprächen, die es gibt. Denn: Wenn dort Dinge überhaupt thematisiert werden, dominiert derzeit der Widerspruch. Oft direkt Wut. Gegen alles. Gegen “die da oben” und zunehmend auch gegen “die da zu uns kommen”. Gegen nahezu Alles, was dem Einzelnen nicht einleuchtet. Einem selbst nicht passt. Auch gegen jedes Argument. Öffentliches Interesse spielt keine Rolle. Ein “für mehr positiv” ist selten. Das Ich obsiegt der Logik, dem Allgemeininteresse. Immer öfter. Selten erheben jene die Stimme, die dies nicht so sehen. Und das macht etwas mit Politik. Denn die – das mag man gut finden oder nicht – hört leider zu stark auf das, was laut ist. Und so laufen wir langsam aber stetig in eine Diktatur von Minderheiten. Die laute Beschwerde bestimmt den Kurs. Eine beinahe normaler Prozess inzwischen. Das Windrad. Der Kiestagebau. Das gefühlt fehlende Irgendwas. Die Geflüchteten, die zu laut, zu anders und ja auch manchmal fehlgeleitet sind. Egal was kommt. Es findet sich inzwischen gegen alles und jedes Thema im Handumdrehen Widerstand. Zumeist unversöhnlich. Oft gefüttert von Hörensagen aus seltsamer Quelle. Gegenargumente werden weggefühlt. Fakt weicht Glauben. Laut wird das neue Richtig. Widerspruch in der Sache gilt fälschlich schnell als Einschränkung der Meinungsfreiheit. Und so ist Debatte nicht möglich, denn sie endet unversöhnlich ohne Ergebnis. Dort, wo man früher nach gern auch heftiger Diskussion zu einem Kompromiss fand, steht heute statt dessen ein gefestigter Frontverlauf. Wenn ich nicht bekomme was ich will, mach ich nicht mit. So einfach ist diese Welt. Jedenfalls für jene, die so operieren. Gedeckt und legitimiert wird dies durch gefühlte Mehrheiten. Die man ableitet aus Lautstärke meist einer kleinen Gruppe.

So können wir nicht weitermachen. Ich denke, dies ist jedem klar. Warum? Weil man Ziele ohne Kompromisse nicht erreichen kann. Und weil zum Protest auch eine Lösung gehört.

Denn die Widersprüche sind da. Real existierend. Und die kann man auch nicht wegschieben. Wir wollen das Klima schützen, wollen günstigen Strom, wollen aber keine Windräder. Wir beklagen steigende Baupreise, wollen aber keine Tagebaue für Sand und Kies, deren lokaler Abbau unvermeidlich ist, will man Preise in den Griff bekommen. Uns fehlen Arbeitskräfte, aber Zuwanderung wollen wir natürlich nur, wenn die Ankommenden fertig ausgebildet, deutsch sprechend und angepasst erscheinen. Nur ein Auszug. Nur ein Schlaglicht. Aber es zeigt: Finden wir keine Kompromisse, schaffen wir keine mehrheitlich getragene Vereinbarung. Dann lösen wir keines unserer Probleme. Und nein: Sich statt eines Windrades ein Atomkraftwerk möglichst weit weg zu wünschen, ist keine Lösung. Denn Irgendwo ist anderer Leute Heimat. Und die haben auch ein Recht auf faire Lastverteilung. Hochgradig unsolidarisch ist es zudem auch noch, denn es folgt dem Hauptsache Ich. Nein. Dies kann nicht der Weg sein. Leuchtet ein, denke ich.

Was wir brauchen ist eine Rückkehr zu unseren gesellschaftlichen Werten. Solidarität. Zusammenhalt. Humanität Kompromissbereitschaft. Und die Kraft für Wahrheit und Klarheit. Auf Seite der Bürgerschaft. Aber vor allem in der Politik. Denn auch diese hat ihren Anteil an diesem gesellschaftlichen Stillstand und der Abkehr vom demokratischen Mehrheitsprinzip. In gewisser Weise befördert sie diesen sogar. Während auf Bundesebene man den Eindruck gewinnen kann, dass zwar die groben Ziele irgendwie stimmen, man aber keine Ahnung zu haben scheint, wie diese erreichbar und machbar gestaltet und gut erklärt werden. Ja, wie das Konzept aussieht. Aus dem hervorgeht, wie man machbare Wege findet, die nicht überfordern oder Menschen vor vollendete Tatsachen stellen, die sie nicht meistern können. Während man im Bund sich im Gezänk verfängt. In der Regierung. Zwischen Regierung und Opposition. Währenddessen bekommt man in den Ebenen darunter eher das Gefühl, man bedient lieber Stimmungen von Stammtisch und Straße, als Zukunftsideen und Ziele auszurufen, die man mit den Bürgerinnen und Bürgern verhandeln könnte. Klarheit und Wahrheit werden selten im Text, der den Wähler erreichen soll. Auch, weil der Wähler dies nicht möchte. Krisenzeiten rufen nach Heimeligkeit, nach Rückzug ins Vertraute. Nicht nach Veränderung und Erkenntnis. Denn diese bedeuten zumeist Veränderung. Und deren ist man müde geworden hier bei uns. 34 Jahre Dauerveränderung fordern ihren Tribut. Dies weiß Politik auch. Und: Weil man lieber kurzfristig den Beifall einsammelt. In der Hoffnung, er würde sich in Stimmen umwandeln, stimmt man nicht selten in den Protest mit ein. Wider besseren Wissens. So klagt die Landesebene über den Bund. Obwohl die Beschwerdeführer allesamt in Gehaltsklassen unterwegs sind, ab denen das Jammern verboten und eigene Zielsetzung Pflicht ist. Und auch wir – die kommunale Ebene – bilden hier oft keine Ausnahme. Die Klage ist unser Schwert. Nicht immer – das muss man sagen – die richtige Waffe. Belohnt wird dies alles durch Umfragewerte, die nach rechts ausschlagen wie noch nie zuvor.

Es ist nicht nur der Kampf gegen Extremismus, der jetzt wichtig ist. Es muss um das große und Ganze gehen. Um gesellschaftliches Miteinander und alle die Schieflagen, die hier entstanden sind. Auflösen können wir dies nur gemeinsam. Lasst uns dieses Momentum der Erkenntnis nutzen, daraus ein zusammen Vorwärts zu machen. Die Demonstrationen sind wichtig. Denn hier zeigt sich ein breites Zusammen aus allen Bevölkerungsteilen und Altersgruppen. Endlich, möchte man rufen. Denn es ist fünf vor Zwölf. In vielen Bereichen. Doch diese Energie nun endlich in ein dauerhaftes Mitmachen umzuwandeln. Dies wäre viel wichtiger. Nicht das Dagegen macht Zukunft. Es ist das gemeinsam für etwas, das Geschichte schreibt.